Prof. Dr. Klaus Raschzok: 
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Rede des 1. Vorsitzenden der Marienberger Vereinigung für Paramentik e.V. bei der Eröffnung der Ausstellung „Zu Ende gewebt: Textilkunst für die letzte Reise“ am 4.5.2018 im Museum Kirche in Franken des Fränkischen Freilandmuseums in Bad Windsheim

Mit der Ausstellung „Zu Ende gewebt: Textilkunst für die letzte Reise“ wird der innovative Beitrag der zeitgenössischen kirchlichen Textilkunst für den Umgang mit Sterben und Tod in Gestalt von aktuell durch die Werkstätten der Marienberger Vereinigung für Paramentik e. V. gefertigten Objekten zur Begleitung Sterbender und Verstorbener dokumentiert. Wir wollen mit diesem sensiblen Thema der Öffentlichkeit die Chancen anspruchsvoller kirchlicher Textilkunst für eine bewusste Mitgestaltung der gegenwärtig sich stark im Wandel befindlichen Trauer- und Bestattungskultur vor Augen stellen.

Bereits in der theologischen Grundlagenschrift für die Erneuerung der evangelischen Paramentik in der Mitte des 19. Jahrhunderts, dem »Schmuck der heiligen Orte« von Wilhelm Löhe aus den Jahren 1857/58, spielt die Sorge um die Verstorbenen und die Gestaltung des Friedhofes als zentraler Aufgabe der christlichen Gemeinde eine wichtige Rolle. In der auf Initiative Wilhelm Löhes im Neuendettelsauer Diakonissenmutterhaus 1858 gegründeten ersten evangelischen Paramenten-Werkstatt wurden neben künstlerisch gestalteten Altar-, Kanzel- und Taufsteinbekleidungen sowie Altartüchern, Bucheinbänden und Talaren für die Geistlichen auch Totenhemden, Totenkränze und Bahrtücher für die kirchliche Bestattung gefertigt und Verantwortung für die Pflege des in Neuendettelsau neu angelegten Friedhofes der Diakonissenanstalt übernommen. Indem wir mit dieser Ausstellung zugleich den 160. Geburtstag der Neuendettelsauer Paramentik-Werkstatt begehen, schließt sich der Kreis.

Der Beitrag der Paramentik zur Sterbe- und Trauerkultur umfasst die Gestaltung von textilen Kokons für die Bestattung totgeborener Kinder, von aus farbigem Filz gefertigten Hüllen für Aschenurnen bei der Urnenbeisetzung, die individuelle Fertigung eines der Würde des Abschieds angemessenen Leichentuches aus Seidenstoffen für Palliativstationen und Hospize zur Abdeckung der Verstorbenen, die Anfertigung von schlichten Totenhemden und Totenkleidern, die Herstellung von Bahrtüchern als Überwurfhüllen für Särge, von textilen Altar- und Kanzelgestaltungen und eigens gestalteten liturgischen Gewändern für Trauergottesdienste und weiterer mit dem Gedenken der Verstorbenen verbundenen Anlässe sowie die textilkünstlerischen Gestaltung von Abschiedsräumen auf Palliativstationen und in Hospizen.

Die in der Ausstellung gezeigten Objekte spiegeln die Auseinandersetzung der einzelnen Werkstätten mit aktuellen Veränderungen der Sepulkralkultur im deutschsprachigen Kulturraum. Insbesondere reagieren sie auf die Folgen der Hospizbewegung mit der Einrichtung stationärer Hospize und Palliativstationen, die vehement in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückte Frage des Umgangs mit vor der Geburt verstorbenen Kindern, den sogenannten Schmetterlings-, Engels-, Sternen- oder Himmelskindern, das verstärkte Bewusstsein für die individuelle Gestaltung von Trauergottesdiensten und die zunehmend sich zur Normalpraxis entwickelnde Feuerbestattung und daraus resultierend den Bedarf an angemessener Gestaltung der Ascheurnen, vor allem im Kontext der seit 2001 in Deutschland möglichen Waldbestattungen in Friedwäldern, Ruheforsten bzw. sog. Bestattungshainen.

Der Beitrag der Textilkunst zu Abschied, Sterben, Tod und Trauer wird durch das Anliegen bestimmt, der Individualität und Würde des zu Ende gegangenen menschlichen Lebens auch auf der Gestaltungsebene angemessen Ausdruck zu verleihen und auf dem letzten irdischen Abschnitt des Lebens qualitätvolle Arbeiten zu liefern.

Die künstlerisch gestalteten Objekte geben den Verstorbenen die Würde zurück indem sie den Leichnam einhüllen, schmücken und bekleiden. Würde geschenkt wird von der Aufbahrung (Aufbahrungsdecke und Hospiz-Schal) über das Bahrtuch, das eine aufwendige und zugleich teure Sarggestaltung nicht erforderlich macht und zugleich den Toten einreiht in eine Gemeinschaft, und die liturgische Kleidung für Trauergottesdienste und Bestattungen bis hin zur Schmuckhülle für Urnen, die dem kalten, industriell gefertigten metallenen Aschenurnengefäß Individualität zurückgibt.

Hinzu tritt die Ausstattung von Kirchen- und Abschiedsräumen und Räumen der Stille mit textilem Schmuck, welcher den Ort als Rückzugsraum angesichts des Todes kennzeichnet, Orientierung in Trauer und Abschied gewährt und die damit verbundene Stimmung zulässt, unterstützt und nach außen hin würdevoll abschirmt. Textiler Schmuck ermöglicht damit Intimität und gewährt Schutz im Raum der Öffentlichkeit. Es ist von daher auch nicht belanglos, welche Kleidung der Liturg oder die Liturgin bei einem Trauergottesdienst oder auf dem Friedhof bei der Bestattung tragen. Auch mittels der liturgischen Kleidung vollzieht sich eine Würdigung des Anlasses als biografisch einmalig und einschneidend.

Textile Objekte stellen energiegefüllte Objekte dar. Die Leistung der Textilkunst für den Prozess des Abschieds und der Trauer besteht im Umhüllen, Schutz gewähren, Bekleiden, aus der Anonymität holen und Würde verleihen. Textilien spenden Wärme. Der Kälte der Aschenkapsel steht die Wärme der Filz-Urne als Überzug gegenüber. Liturgische Gewänder sind leiblich bewegte Ausdrucksträger von Hoffnung und Trauer. Leben wie Sterben zu umkleiden stellt damit die Aufgabe der Paramentik dar, die auf ihre unnachahmliche Weise Hilfestellung zur Gewinnung eines ganzheitlich-sinnlichen Verhältnisses zu Sterben und Tod leistet und dabei die Körperlichkeit des Sterbens wie der Toten ernst nimmt.

Textilkunst für die letzte Reise umhüllt, schützt, würdigt, ordnet ein und gewährt dem Individuum durch ihre haptisch-sensorische Ausstrahlung angemessen Raum. Aufgenommen wird dabei das im Titel der Ausstellung zitierte biblisch-alttestamentliche Motiv des Abnehmens des fertig gewebten Teppichs durch den Weber vom Webstuhl aus dem Propheten Jesaja: „Zu Ende gewebt hat ER mein Leben.“ (Jesaja 38,12b nach der revidierten Luther-Übersetzung 2017) Alttestamentliche und klassisch-antike Motivik begegnen sich in diesem Bild, wenn in der klassischen Antike von den Moiren (griechisch) oder Parzen (lateinisch) die Rede ist, die den Lebensfaden der Menschen bemessen und an seinem Lebensende abschneiden. Während es sich dort um Schicksalsgottheiten handelt, ist hier Gott selbst derjenige, dem solches Tun zugeschrieben wird. Dem Schicksal ist der Mensch hilflos ausgelidert, Gott dagegen kann er seine Not klagen.

Jesaja 38, 12b bietet jedoch nicht nur ein erschreckendes, sondern ein zugleich auch tröstendes Bild des Sterbens. Denn der Weber schneidet den Faden nicht wie häufig angenommen als zerstörerischen Akt ab, sondern als Akt der Vollendung des entstandenen Werkes. Auf diese Weise kann jedes noch so früh oder noch so spät an sein Ende gelangtes Leben als in den Augen seines göttlichen Schöpfers und Vollenders abgeschlossenes wie stimmiges Werk verstanden werden.