Paramententag und Festakt zum 100-jährigen Bestehen der Marienberger Vereinigung für Paramentik e.V. am 12. April 2024 im Kloster St. Marienberg in Helmstedt

Einige persönliche Eindrücke in der Rückschau und der individuellen Perspektive für die zukünftige Paramentik

Die Marienberger Vereinigung für Paramentik e.V. ist der Dachverband der Paramentenwerkstätten in Deutschland. Er wurde 1924 im niedersächsischen Kloster St. Marienberg gegründet, um den Austausch unter den Vereinen der Paramentik meist diakonischer Einrichtungen zu unterstützen, die entsprechende Werkstätten führten. Für Gespräche, Vorträge von Theologen und Kunstwissenschaftlern und die Regulierung der Ausbildung wurde der Paramententag eingerichtet, der bisher fast durchgehend alle 2 Jahre stattfand. Auch zu den jährlich ausgetragenen Mitgliederversammlungen kam man an wechselnden Orten zusammen, um sich – wie auch in diesem Jahr – gegenseitig über aktuelle Arbeiten und die Organisation der Vereinsbelange zu informieren. Die Jahre waren nicht nur durch die Weltwirtschaftskrise und den 2. Weltkrieg, die Trennung in Werkstätten der Bundesrepublik und der DDR geprägt; für letzte wurde die Struktur einer Arbeitsgemeinschaft geschaffen. Nicht nur gestalterische und theologische Aspekte trugen zu Veränderungen in Gestaltungsprinzipien, der Verwendung von Materialien und der Formensprache bei. Vor allem der finanzielle Druck, der in all den Jahren auf den Gemeinden und den Werkstätten gleichermaßen lastete, beförderte notwendige und gleichermaßen häufig unbeliebte Veränderungen. Bis in die jüngste Zeit ist das Thema der Finanzierung der Katalysator für Transformationsprozesse, die eher den gesellschaftlichen Bedingungen als liturgisch-theologischen Erwägungen geschuldet sind. Die Werkstätten in den Diakonissenmutterhäusern waren einerseits an der würdigen Ausgestaltung des Altars als „heiligem Ort“ interessiert, aber auch am Angebot von Ausbildungsmöglichkeiten für junge Mädchen, um in Familie und als Kirchendienerin den entsprechenden Aufgaben gewachsen zu sein. Mit der Umstrukturierung diakonischer Einrichtungen spielte der Zusammenhang zwischen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und der Liturgie eine immer geringer werdende Rolle. Dass damit auch die Arbeit der Paramentik und die Inhalte der Ausbildung in Mitleidenschaft gezogen wurden, stieß nicht gerade auf Kritik von Seiten der Landeskirchen. Einerseits waren und sind sie nicht bereit, die finanzielle Lücke kreativ zu stopfen. Andererseits gelang es kaum, für die Evangelische Paramentik eine konkrete gestalterische, liturgische und theologische Funktion auszuformulieren, an denen sich Pfarrerinnen und Pfarrer sowie Gemeindekirchenräte hätten orientieren können. Für die Notwendigkeit, als Institution für Strukturen der Ausbildung, für deren Inhalte, die Weiterentwicklung und Zukunftsfähigkeit zu sorgen, fehlte offenbar der Blick. Hingegen wird nicht erst in den letzten Jahrzehnten der Paramentik vorgeworfen, nicht zeitgemäß und ästhetisch angemessen zu arbeiten. Soviel zu den historischen Hintergründen.

Daher ist es nicht selbstverständlich, dass in diesem Jahr das 100-jährige Jubiläum im Kloster St. Marienberg mit einem Festakt gefeiert werden konnte. Wie es die Tradition vorsieht, tagten die anwesenden Mitglieder zunächst unter sich, um anschließend den Paramententag zu begehen. Doch auch dieses Jubiläum musste mit tragischen Entwicklungen kämpfen, die an der Durchführung Zweifel säten: Schon im letzten Jahr zeichnete sich ab, dass mit dem Insolvenzverfahren, dass die „Von-Veltheim-Stiftung“ betraf, auch die Paramentenwerkstatt im Kloster St. Marienberg in Helmstedt geschlossen werden musste. Trotz dieser problematischen Verhältnisse haben wir das Angebot der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz als Hausherrin der Anlage, den Festakt im Kloster ausrichten zu wollen, dankbar angenommen. Dennoch stand die Diskussion im Raum, aus Solidarität mit der Veltheim-Stiftung und dem Konvent den Festakt abzusagen. Mit dem überaus schönen Ambiente der Klosterkirche, dem Kreuzgang und dem Paramentensaal, der nochmals zu besichtigen war, konnte der Verlust der traditionsreichen Werkstatt und der Räumlichkeiten besonders vor Augen geführt werden. Leider geschah auch an diesem Tag kein Wunder, das die Probleme wie einen Gordischen Knoten hätte zerschlagen können. Der Festakt, der in der ehem. Zisterzienserinnen-Klosterkirche ausgesprochen würdevoll begangen wurde, begannen nach der feierlichen Begrüßung durch den 1. Vorsitzenden der Marienberger Vereinigung, Herrn Prof. Dr. Stefan Michel. Die ersten beiden Vorträge spiegelten thematisch die Geschichte und Gegenwart der Paramentik.

Dr. Rüdiger Kröger, vom Landeskirchliches Archiv Hannover, referierte zum Thema „Die Evangelische Paramentik vor 100 Jahren“. Mit vielen Abbildungen gut illustriert, zeigte er einerseits Vorlagen und Ausführungen von Altar- und Kanzelantependien, die jahrzehntelang nach immer denselben Entwürfen angefertigt worden sind. Dazu gehörten Vorzeichnungen von Eugen Beck, Dresden, mit denen weit über die Zeit des Historismus hinaus in immer neuen Kombinationen die Wünsche der Auftraggeber erfüllt wurden. Zu den Beliebtesten schien das stilisierte Siegeslamm zu gehören, das stets auf Weitenwirkung auf schwere Stoffe appliziert wurde. Andererseits gab es weitere Künstler, wie Ernst Riegel, Darmstadt und Köln, deren Entwürfe für Anependien der Qualität der zeitgenössischen vasa sacra in Nichts nachstehen.

Die Spannungen, die es zwischen einzelnen Richtungen der Werkstätten gab, insbesondere, seitdem Rudolf Koch in Offenburg als Schriftkünstler auch textile Behänge ausführen ließ, waren bisher nie zur Sprache gekommen. Da R. Koch, ein bekennender Christ, in Ehrfurcht vor der Schöpfung konsequent auf natürliche Materialien, handgesponnener Wolle und eine zarte Farbgebung wertlegte, musste man stärker auf Details achten, die nur aus der Nähe zu würdigen sind. Des Weiteren konnte R. Kröger aufzeigen, dass die Umsetzung bestimmter Entwürfe weniger am Profil der Werkstätten begründet war, als vielmehr an den Wunschvorstellungen der Auftraggeber. Das erklärt auch manche Darstellungen, bei denen offensichtlich auf mehrere Vorlagen zurückgegriffen und Elemente miteinander kombiniert wurden, wodurch das Ergebnis als sinnentstellend zu bewerten ist. Selbst die Suche nach angemessenen Entwürfen, eine mögliche Zusammenarbeit mit Kunstgewerbeschulen oder Kontakte zu zeitgenössischen Künstlern beschäftigt unser Arbeitsfeld seit ehedem. Die umfangreiche Recherche in den Archiven mehrerer Werkstätten lassen vor allem auf weitere Erkenntnisse durch nachfolgende Forschungsvorhaben hoffen, die das Spektrum an Ausdrucksmitteln und deren Zusammenhängen innerhalb der Evangelischen Paramentik erklären helfen.

Pfarrer Alexander Proksch referierte unter dem Titel „Textile Schwarzmalerei? Zukunftsperspektiven für den Pfarrtalar“ über die Anfänge und Ausprägung verschiedene Details von Talaren, ein spannendes Thema, mit dem er sich innerhalb seiner Dissertation auseinandersetzt. Bis heute kennzeichnet das Gewand das evangelische Amtsverständnis, auch und trotz verschiedener Hinwendungen zu stärker liturgischen Aspekten. Dennoch durchzieht der Talar als Kennzeichen und Einheitsgewand, seit seiner Einführung 1811 zunächst in Preußen, die Geschichte der protestantischen Kirche. Reibungspunkte stellten sich ein, als Mitte des 20. Jh. auch Frauen ordiniert wurden und sich die Frage der Amtstracht nicht selbstverständlich mit dem historisch begründeten, originär männliche Schnitt lösen ließ. Spannend war zu hören, dass mittlerweile alle Landeskirchenämter neben dem traditionellen Schwarz das tragen weißer Alben bzw. Mantelalben, mit und ohne Stola, als Amtstracht ermöglichen.

Grußworte

Auch die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz in Form der Direktorin, Frau R. Berghahn und dem Kulturmanager, Herr Bruns, gratulierten den Anwesenden der Marienberger Vereinigung sehr herzlich, obgleich der Eindruck erschien, dass die Differenz zwischen der Marienberger Vereinigung und der Paramentenwerkstatt der von-Veltheim-Stiftung am Kloster St. Marienberg, nicht vollständig durchdrungen wurde. Die Autorin konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Gruß, der mit dem Wunsch verknüpft wurde, an diesem Ort auch noch das 200-jährige Jubiläum feiern zu können, unter den Anwesenden zum Teil in einen sehr emotionalen Nerv traf.

Der Festvortrag wurde von Dr. Borromäus Murr, Museumsleiter des Textil- und Industriemuseums Augsburg, zum Thema „Kulturanthropologische Annäherungen an die Paramentik“ gehalten. Zunächst wandte sich Dr. Murr dem Spinnen zu, indem er auf das Bild verwies, das in verschiedenen Kulturen eine existentielle Bedeutung hat: Das Drehen des Lebensfadens. Sinnbildlich wird dieser geschaffen, also gesponnen, wird mit dem Haspeln bemessen und schließlich, als sei es vorherbestimmt, abgeschnitten. Stärker kamen die phänomenologischen Gedanken eines Geschehens in Zeit und Raum im Bild des Webens zum Tragen. Auch hier könnten Bezüge zu vorzeitlichem Handeln fast bis zum Unendlichen hergestellt werden, die weit vor die Zeit der klassischen Antike zurückreichen. Der platonische Vergleich, die Qualitäten von Kett- und Schussfäden auf menschliche Charaktere wie Mut und Besonnenheit zurückzuführen, zielt auf Beschreibungen von Ordnung versus Chaos ab – sowohl für den persönlichen Lebensvollzug, als auch in Bezug auf urbane Gesellschaften. Auch den biblischen Geschichten sind metaphorische Bezüge des Gewebes zum Vollzug des Lebens zu entnehmen, wie er am Beispiel des Propheten Hiskia belegt. Im Neuen Testament mehren sich Verweise in der Apostelgeschichte.

Murr hegt offenbar Sympathien zu den Formulierungen Wilhelm Löhes, nach denen das Verhüllen und Enthüllen am Beispiel des Altars, des Kelches bzw. Amtsträgers in der notwendig performativen Handlung des gottesdienstlichen Geschehens das geistliche Leben kenntlich machen. Das Dingliche, hier der Schmuck des Altars und die sakramentalen Geräte, ist über die Materialität mit dem Haptischen in Raum und Zeit verbunden. Im Bekenntnis zur Leiblichkeit steckt die Erfahrung geistlichen Lebens in Räumlichkeit, da im haptisch Wahrnehmbaren, im Sichtbaren bereits der Verweis auf das Unsichtbare verborgen liegt. Mit der Formulierung, dass Paramente in ihrer Materialität als „ikonische Zeichen im Sakralen Raum“ bereits ein Eigenleben führen, das es zu entdecken gilt, sind die Fragen der Zukunft unserer Branche eigentlich treffend umrissen.

Ich selbst fand die Überlegungen deshalb so spannend, weil wir in der Ausbildung zur Evangelischen Paramentikerin zwar historische Hintergründe der Techniken beleuchtet hatten, aber die phänomenologische Seite nicht zum Tragen kam. Das mag auch darin begründet sein, dass solche Gedankenspiele dem Verdacht unterlagen, nur individuelle „Nabelschau zu betreiben“ und den Sinn und Zweck der Arbeit an Paramenten zu vernachlässigen. Die geistliche Andacht, in der (theoretisch) schweigend das Sticken, Nähen und Weben „mit Gedanken an die Gemeinde“ zu vollziehen war, schloss das geistige Baden in philosophischen und mythologischen Erwägungen unchristlicher Zeiten von vornherein aus. Sich in der Nachfolge Christi im Dienst am Nächsten zu glauben hat phänomenologisch wenig mit der Selbstverortung in Raum und Zeit zu tun. Auch in der notgedrungen starren Form historischer Fotos mag die Haltung der jungen Frauen in persönlicher Hinwendung zum Dienst im Namen Jesu zu wirken, reizvoll erscheinen. Individuell entwickelte Persönlichkeiten kommen bei den Mädchen, die sich dankbar für die Möglichkeit einer Ausbildung zeigen sollten, m. E. nicht zum Ausdruck. Diesem Phänomen wird sicher auf einem der nächsten Paramententage nachzugehen sein. Für mich haben sich jedoch geistige Schnittmengen ergeben, die aus meiner Innenperspektive heraus noch vor 30 Jahren kaum denkbar gewesen waren. Diese führen zu einer entspannteren, modifizierten Arbeit an Paramenten, mit der man besser, nachhaltiger auf die zukünftigen Aufgaben blicken kann,

Während des Festakts, den Prof. Dr. Stefan Michel souverän moderierte, wurden von Christina Ritter, Paramentenwerkstatt Ludwigslust, und ihm, aktuelle Arbeiten der Mitgliedswerkstätten in einer Präsentation vorgestellt. Mit den verschiedenen Aufgabenbereichen, Techniken und Gestaltungsansätzen, die gezeigt wurden, konnte man das Spektrum an Möglichkeiten zur Kenntnis nehmen, mit denen die zeitgenössische Paramentik auf die Herausforderungen dieser Zeit, weit über kirchliche Angelegenheiten hinaus, reagiert.

Auf der Mitgliederversammlung gehörte die Frage nach dem Fortbestand der Marienberger Vereinigung zum vorherrschenden Thema. Zu groß scheint der Arbeitsaufwand, den Verein nach 100 Jahren weiterhin am Leben zu lassen gegenüber dem Nutzen für die Mitglieder und dem Wirkungsbereich innerhalb der Evangelischen Kirchen. Die Enttäuschung über die Tatsache, dass man auf den Ebenen der Landeskirchen keine verlässliche Grundlage der Zusammenarbeit knüpfen konnte, zieht sich seit Jahrzehnten durch die Tagungen. Mit Unverständnis begegnet man dem mangelhaften Vorstellungsvermögen, Altar- und Wandgestaltungen, künstlerische Objekte und temporäre Installationen in das gottesdienstliche und kulturelle Wirken in Sakralräumen fest zu verankern. Gemessen an der Vielfalt an Gestaltungsvarianten für verschiedene liturgische und kulturelle Angebote spiegeln Verweise auf allgemeine finanzielle Probleme eher ein zu theologisch-konservatives Verständnis institutionell gebundener Kreise wider, als einen zukunftsfähigen Gestaltungswillen. Dabei steht die Paramentik mit ihren Verbindungen zu entwerfenden Künstlern bzw. professionellen Werkstattleiterinnen in Bezug zu ihrer qualitativen Arbeit heute an einem Punkt, von dem man, wie zu hören war, in früheren Jahrzehnten nur hatte träumen können.

Die Marienberger Vereinigung e.V. hat im April diesen Jahres ihr 100-jähriges Bestehen im Licht der Öffentlichkeit gefeiert, obwohl ihr zu jeder Zeit heftiger Gegenwind entgegenschlug. Sie hat sich als hartnäckiger erwiesen, als in jedem Jahrzehnt zu erwarten war und sie hat unter Druck die Transformationsprozesse verarbeitet, die größeren institutionellen Strukturen mutmaßlich erst bevorstehen.

Die Marienberger Vereinigung wird auch unter veränderten Vorzeichen weiterhin existieren. Der Aufgabe, ästhetische Elemente in das Wirkungsspektrum von Kirchenräumen zu integrieren, und den Wert für die kulturellen Aneignungsprozesse einer pluralistischen Gesellschaft aufzuzeigen, wird sie sich auch zukünftig stellen.

Katharina Hinz, Schriftführerin der Marienberger Vereinigung e.V.
Sandhausen, im Juni 2024